Ein Artikel zum Comic-Salon Erlangen aus 2010

Veröffentlicht auf von Bembelo

Leider ist mir dieser Artikel erst vor einigen Tagen zur Kenntnis gekomen und da er immer noch gut ist, hab' ich ihn von der Online-Seite der Frankfurter Rundschau stibitzt und hier eingestellt.

 

Lehr- und Wanderjahre eines Punks

Der vereinsmeiernde Mief der frühen Jahre und die depressive Stimmung der letzten Zeit sind verflogen: Der Internationale Comic-Salon Erlangen zeigte sich souverän und weltoffen, seine Preisträger ebenso.

 

Von Jens Balzer

 

 

Eigentlich suchten sie Sonne, Strand und die Freiheit vom verachteten Spießbürgerleben. Doch als Ulli und Edi, die beiden Punkmädchen, nach monatelanger Reise ohne Geld und Gefahrenbewusstsein im ersehnten italienischen Süden ankommen, stranden sie in einem Albtraum. Die Männer, die gerade noch so charmant um sie herumscharwenzelten, entpuppen sich als Mafia-Clan mit katholischer Sexualmoral; die Mädchen werden vergewaltigt, zur Prostitution gezwungen und verstricken sich immer tiefer in die Unwägbarkeiten des Drogenhandels.

"Heute ist der letzte Tag vom Rest deines Leben" heißt das Werk der Berlinerin Ulli Lust, das am Wochenende auf dem Erlanger Comic-Salon mit dem Publikumspreis für den besten deutschsprachigen Comic ausgezeichnet wurde: ein voluminöser Lehr-und-Wanderjahre-Roman mit autobiografischem Hintergrund; umgesetzt in einem scheinbar dahingehuschten Geskribbel, in dem sich doch eine erstaunliche Vielfalt psychologischer Beobachtungen und Selbstbeobachtungen verbirgt.

Mit leichter Hand verbindet Ulli Lust den Punk-Stil des amerikanischen Underground-Comic mit dem Vokabular der japanischen Manga zur äußerlichen Darstellung von Gefühlen. Distanz und Nähe zur Geschichte des eigenen Erwachsenwerdens hält sie dabei in kluger Balance: So befremdet die Autorin heute von den eigenen Jugenddummheiten auch ist, so liebevoll wirkt gleichwohl der Blick auf die Frische und Naivität ihres jüngeren Selbst.

Anders gesagt: "Heute ist der letzte Tag vom Rest deines Lebens" ist ein Meisterwerk. Und doch nur ein Beispiel für die beglückende Blüte des deutschsprachigen Comic, die auf dem Erlanger Salon zu erleben war. Bei der Verleihung der Max-und-Moritz-Preise fiel die Wahl zwischen den nominierten Autoren und Werken mehr als schwer. Den Kritikerpreis erhielt dann - ebenfalls zu Recht - das bereits ausführlich gepriesene monumentale Werk "Alpha Directions", in dem der Berliner Zeichner Jens Harder die Geschichte des Universums vom Urknall bis zur Entstehung der Menschheit schildert. Als bester deutschsprachiger Comic-Zeichner wurde Nicolas Mahler geehrt, der in seinem neuen Buch "Engelmann" eine Superhelden-Geschichte mit den Mitteln des Beckett-Theaters erzählt.

 

 

 

So stand die mit heißem Herzen erzählte Autobiografie gleich berechtigt und gleich virtuos neben dem kalkuliert "kalten" Sach-Comic und der bilder- wie wortkargen Groteske - ein schönes Bild für die Gesamterscheinung des Comic-Salons. Noch nie seit dessen Gründung 1984 wirkte die hier versammelte Szene so souverän und weltoffen, so virtuos und vielfältig wie heute; der vereinsmeiernde Mief der frühen Jahre ist ebenso verflogen wie die depressive Stimmung der letzten Zeit, als die Verlage ihre Programme zusammenstrichen und bloß noch auf den Import japanischer Manga setzen wollten.

Verkäufe im Fachhandel sind stabil

In diesem Jahr war von Krisenstimmung keine Rede mehr. Die Verkäufe im Fachhandel seien stabil, während der Absatz im regulären Buchhandel stetig wachse, hieß es auf der Verlegerrunde am Samstagabend. Der unerwartete Erfolg von Marjane Satrapis "Persepolis" - Erinnerungen an eine Kindheit unter dem iranischen Mullah-Regime - hat gerade Comics mit historischen und politischen Themen den Weg zum Literaturpublikum geebnet. Viele Verlage etikettieren ihre Produkte deswegen um: Sie heißen jetzt "Graphic Novels" (grafische Romane) und werden in kleinerem, hardcover-ähnlichen Format gedruckt, so dass sie im Ladenregal neben den normalen bildlosen Büchern nicht weiter auffallen.

Und so schoben sich am Wochenende die fantasievoll kostümierten Manga-Fans gleichermaßen durch die vollen Hallen des Comics-Salons wie die frenetischen Sammler amerikanischer Superheldengeschichten, während ambitionierte Kleinverleger mit ihren Lesern etwa über die Darstellung des Nahostkonflikts im "Palästina"-Comic von Joe Sacco stritten.

In einem eigenen Areal drängte sich der comiczeichnende Nachwuchs aus den Kunsthochschulen und Illustrationsstudiengängen. Viele von den Zeichnern, die Anfang der 90er Jahre als neue deutsche Comic-Avantgarde begannen wie etwa Anke Feuchtenberger, Martin tom Dieck und Atak, unterrichten inzwischen als Professoren und waren mit ihren Comic-Klassen gekommen. Die aus Berlin stammende Japanologin Jaqueline Berndt hat an der Seiko Universität in Kyoto gar einen eigenen Manga-Studiengang mit ins Leben gerufen und präsentierte das anspruchsvolle Programm - zu dem nicht nur das Zeichnen gehört, sondern auch die Entwicklung von Charakteren und das Geschichtenerzählen.

Raus aus dem Schatten

Denn Comics - das wurde gerade in Deutschland bislang gern vergessen - sind Kombinationen aus Bildern und Texten; für einen guten Comic braucht es auch die Leidenschaft und die Fähigkeit zum Erzählen. Szenaristen (wie man die Verfasser von Comic-Geschichten nennt) stehen dennoch meist im Schatten der Zeichner - da war es ein gutes Symbol, dass die schönste und einfallsreichste Schau des Salons dem Szenaristen Peer Meter gewidmet war, der mit wechselnden Partnern und Partnerinnen historische Comics gestaltet. Gerade erschienen ist "Gift", das - gezeichnet von Barbara Yelin - die Geschichte der Bremer Giftmischerin Gesche Gottfried erzählt. Erstmals zu sehen waren Seiten aus dem im Herbst erscheinenden "Haarmann", gezeichnet von Isabel Kreitz: In atemberaubend düsteren und detailreichen Bildern erzählen Meter und sie von dem gleichnamigen Serienmörder.

Wer schon länger nach Erlangen fährt, erinnert sich noch an das Projekt: 1990 präsentierte Meter den ersten Teil von "Haarmann", gezeichnet von Christian Gorny. Doch Gorny ging nach Großbritannien, um Superheldencomics zu zeichnen, und Meter musste, wie er jetzt sagte, zwei Jahrzehnte warten, bis eine neue Generation von Zeichnern herangewachsen war, die sich für historische Comics interessierte. Nun aber sei alles gut! Wie ihm erging es vielen, die den Comic-Salon seit seinen Anfängen besuchen: Zwanzig Jahre lang musste man warten. Aber nun ist auch der deutsche Comic, das alte Punkmädchen, ans Ende seiner Lehr- und Wanderjahre gelangt.

Veröffentlicht in Ausstellungen u.ä.

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