Artikel "Badische Zeitung" vom 6.April 2010

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Alltagssprache in Sprechblasen

 Der jüngste "Tatort Kultur" befasst sich mit dem Thema Comics, für die sich heute vor allem die Erwachsenen interessieren.

 

 

OFFENBURG. Der Comic – zu deutsch die grafische Novelle oder "Bildergeschichte" – war vor hundert Jahren in Deutschland allenfalls als bebilderten Reimgeschichte in der Art des Struwwelpeter oder "Max und Moritz" bekannt. Heute sind Comics allgegenwärtig. Eine der großen Überraschungen der Diskussion beim "Tatort Kultur" zum Thema Comics am Mittwoch im Bücherforum war dies: Die meisten Comics richten sich heute an Erwachsene.

Das bunte Heftchen für Kinder und Jugendliche – Micky Maus, Supermann und anderes – ist massiv auf dem Rückzug. Verdrängt vom Internet? Diese Frage wurde vom Podium in der Buchhandlung Bücherforum nicht geklärt. Dort saßen neben Offenburgs Kulturchef Simon Moser der Illustrator und Comic-Zeichner Johannes Mundinger, der Sammler und Liebhaber Wolfgang Reinbold sowie aus Freiburg der Händler und Comic-Spezialist Ulrich Pröfrock. Moser wies darauf hin, dass Darstellungen von Handlungsabläufen nur in Bildern uralt sind. Er verwies auf die Trajansäule in Rom, die in 200 Meter Bildern den Feldzug eines römischen Kaisers erzählt, sowie auf Kirchenfenster- und Kreuzwegdarstellungen.

 

Pröfrock zog von hier die Linie zum modernen Comic. Auch im Amerika der Einwandererzeit um 1900 waren viele Neubürger nicht im Besitz ausreichender Sprachkompetenz. Sprich: Wie im alten Rom oder im Mittelalter konnten nur wenige Menschen größere Texte per Lesen erfassen. Das führte in den Zeitungen zur fetten, schlagwortartigen Schlagzeile sowie zur Comic-Beilage. Hier wurden in streifenförmig angeordneten Bildfolgen gezeichnete Geschichten dargeboten, komisch und in der Handlung nah am Alltag der kleinen Leute. Der Text war Alltagssprache und stand in Sprechblasen. Pröfrock: "Die Zeitungen bauten über die Comics ihre Leserbindung auf." Dass diese Form noch heute funktioniere, belegte Pröfröck mit Hinweis auf den beliebten Comic-Strip "Touché" von Tom in der Badischen Zeitung.

Mit der Wirtschaftskrise der 1920er Jahre sei dann der Fantasy-Comic als Fluchtliteratur entstanden: Tarzan, Prinz Eisenherz, später im Zweiten Weltkrieg Supermann. Die Heimat heutiger Comic-Hochliteratur mit komplexer, oft neue Wege gehender Grafik ist Europa, insbesondere Frankreich und Belgien, die Heimat von Asterix. Wolfgang Reinbold besorgt einen Großteil seiner Comic-Literatur in Straßburg: "Um den Kleberplatz gibt es etliche große Comic-Spezialhandlungen." Der Abschlussband der auch bei uns populären Serie "XIII" – ein komplexer Agententhriller – sei in Frankreich in den großen Tageszeitungen besprochen worden und mit einer Startauflage in Millionenhöhe in die Läden gekommen. In Deutschland dagegen lag die Startauflage bei einigen Tausend Exemplaren. Deshalb sei es für deutsche Zeichner und Autoren schwierig, von ihren Produkten zu leben. Pröfrock: "Einer der wenigen, die das schaffen, ist der Zeichner des Sparkassen-Comics Knax." Den Stellenwert von Comics in Frankreich macht Wolfgang Reinbold deutlich: "Dort zitiert man oft ganze Sequenzen aus Comic-Klassikern wie Asterix oder Tim und Struppi im Dialog. Das ist dort Allgemeingut." Auch der Sammlermarkt wurde gestreift: Mit Jörg Läßker (BZ vom 31. März 2010) saß ein Mitarbeiter des Internet-Comic-Führers "Comic Guide" im Publikum und erzählte von seiner Hobby-Tätigkeit.

Johannes Mundiger zeigte anhand von Grafiken, wie ein Bild aufgebaut wird, eine Stimmung entsteht. Beleuchtet wurde auch die Verbindung von Comic- und Jugendkultur am Beispiel der japanischen Manga-Comics, eine Comic-Form, welche die pubertäre Sexualität thematisiert. Viele Jugendliche "stylen" sich im Stil der Manga-Figuren, so die Band "Tokyo Hotel".

Deutlich wurde, dass für Comics gilt, was auch für andere Künste gilt: Es ist eine Kunstform, aber sie bringt nicht nur Kunst hervor.  

 

Autor: Robert Ullmann

 

von:  http://www.badische-zeitung.de/offenburg/alltagssprache-in-sprechblasen--29266546.html

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